Leandro Ehrlich – Schwerelos. Kunstmuseum Wolfsburg

Kunstmuseum Wolfsburg

Die Welt steht Kopf im Kunstmuseum Wolfsburg. Der Mond befindet sich auf der Erde, ein Haus hängt in luftiger Höhe, die Wolken sind am Boden und die Besucherinnen schweben scheinbar in der Schwerelosigkeit eines Raumschiffs. Der argentinische Künstler Leandro Erlich (1973) verwandelt die Ausstellungshalle in einen fantastisch-surrealen Kosmos und spielt mit unseren Vorstellungen von Perspektive und Schwerkraft. Seine teils raumgreifenden Installationen scheinen physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft zu setzen und eröffnen so neue Sichtweisen auf die vielfältigen Zusammenhänge von Wissenschaft, Technologie, Ökologie, Raumfahrt oder Migration. Die Schau, bei der es sich um die erste Einzelausstellung des Künstlers in Deutschland handelt, wurde eigens für das Kunstmuseum Wolfsburg konzipiert, ebenso der überwiegende Teil der Werke.

„In all meinen Werken zeigt sich die Wirklichkeit auf unterschiedliche Weise. Was wir sehen, ist immer eine Frage der Wahrnehmung, der stärksten Facette der Realität. Es gibt einen impliziten Aspekt sowohl des Verständnisses als auch der Konstruktion dessen, was wir ‚real‘ nennen. Jede Arbeit ist eine Reflexion über die Architektur dieses Realismus.“ Leandro Erlich

SCHWERELOSE REISE DURCH DAS ALL
Leandro Erlich verwandelt das Kunstmuseum Wolfsburg in eine Blackbox, die gewohnte Perspektiven umkehrt und zum Träumen und Imaginieren einlädt. Die spektakuläre Großskulptur Moon (2024) erhebt sich als Halbkuppel mit einem Durchmesser von fast zwanzig Metern und einer Höhe von rund zwölf Metern über dem Museumsboden. Die Besucherinnen können das Innere der Skulptur begehen und erleben dort in einer weiteren Kuppel eine Projektion verschiedener Sternenkonstellationen sowie von nachts hell erleuchteten Städten mitsamt ihren Straßennetzen. Begleitet von sphärischen Klängen verdichtet sich die multimediale Installation zu einem immersiven 360°-Panorama. Darüber hinaus können die Besucherinnen über ein Treppenhaus auf die Mondoberfläche steigen und von dieser erhöhten Position aus den gesamten Ausstellungsraum überblicken.

„Der Wendepunkt, den ich an der Illusion interessant finde, ist die Erzeugung von Zweifeln; auf diese Weise kann die Illusion kritisches Denken fördern.“
Leandro Erlich

Neben der Skulptur Moon steht ein Raumschiff startklar in der Ausstellungshalle. Die Besucherinnen können die circa 13 Meter hohe Skulptur Spaceship (2024) betreten und über mehrere Spiegel der Illusion erliegen, wie Astronautinnen in der Schwerelosigkeit des Alls zu schweben. Doch auch hier ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. Statt in den nächtlichen Sternenhimmel zeigt die Spitze des Raumschiffs auf ein 36 mal 36 Meter großes, digital generiertes fiktives Landschaftsbild (Soprattutto, 2024), wie man es aus der Kartografie oder von Satellitenaufnahmen kennt. Hoch über den Köpfen der Besucher*innen ist das Bild unterhalb der gesamten Museumsdecke aufgespannt, vergleichbar einer auf dem Kopf stehenden Welt. Mit seinen Feldern, Straßen und Strukturen verdeutlicht es, wie die Topografie der Erdoberfläche im Anthropozän durch den Menschen geformt worden ist.

MITEINANDER VON MENSCH UND NATUR
Unter Soprattutto schwebt in luftiger Höhe eine weitere Großskulptur: Pulled by the Roots (2015/2024). Als Allegorie für Heimat und Heimatlosigkeit erinnert das entwurzelte Haus an aktuelle Flucht- und Migrationsbewegungen und die Millionen Menschen, die aufgrund von Kriegen, politischen Konflikten, unwürdigen Lebensbedingungen oder der sich zuspitzenden Klimakatastrophe ihr Zuhause verloren haben. Zugleich verdeutlicht das schwebende Haus mit seinem imposanten Wurzelwerk, dass die von Menschen gebaute Architektur ein integraler Bestandteil der gestalteten Umwelt ist und ihrerseits weitreichende Folgen für die Natur hat – vom Verbrauch natürlicher Ressourcen bis hin zum Ausstoß klimaschädlicher Stoffe bei der Verarbeitung.

Vom Verhältnis von Himmel und Erde, von oben und unten, von innen und außen handelt auch die mehrteilige Arbeit The Cloud (2018–2022). In vier Vitrinen fängt der Künstler vermeintlich flüchtige Wolken ein und „konserviert“ diese für die museale Präsentation. Die einzelnen Vitrinenobjekte bestehen jeweils aus mehreren bedruckten Glasscheiben, die hintereinander geschichtet zum freien Assoziieren von Formen einladen – wie beim Blick auf das Wolkenspiel am Himmel. Erst beim genauen Hinsehen werden in Erlichs Wolkenbildern Tiere oder die Umrisse Südamerikas sichtbar.

„Mich fasziniert die menschliche Fähigkeit, Wirklichkeit zu konstruieren.“
Leandro Erlich

12.10.2024 – 13.07.2025

Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg

www.kunstmuseum.de

PM: Artpress – Ute Weingarten
Foto: Leandro Ehrlich spaceship,
3D-rendering für die Ausstellung,
Courtesy Leandro Ehrlich